(c) Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main. 16.09.2016, Seite 7.
Chancen auf beiden Seiten des Atlantiks
Über Jahrzehnte hinweg haben sowohl Deutschland als auch die EU mit anderen Staaten Handelsabkommen geschlossen, ohne dass dies in der Öffentlichkeit auf besonderes Interesse gestoßen wäre. Das gilt zum Beispiel für das seit 2011 geltende Abkommen der EU mit Südkorea, in dessen Folge die europäischen Ausfuhren in dieses Land um 55 Prozent gestiegen sind. Doch bei Ceta, dem bereits ausverhandelten Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, sowie bei TTIP, der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft mit den Vereinigten Staaten, ist plötzlich alles anders. Globalisierungskritiker von links und rechts laufen Sturm gegen die beiden Abkommen. Es steht zu erwarten, dass auch die angekündigten Demonstrationen am kommenden Samstag in sieben deutschen Großstädten viel Zulauf erhalten werden. Wenn Proteste ein gewisses Maß erreichen, haben Politiker in einer Demokratie die Pflicht, sich mit den Argumenten der Kritiker auseinanderzusetzen. Sie müssen aber ebenso bereit sein, eine als richtig erkannte Entscheidung auch gegen Widerstände durchzusetzen.
Bei historischen Vergleichen ist stets eine gewisse Vorsicht geboten. Aber auch Anfang der achtziger Jahre hat die Union an der Nato-Nachrüstung festgehalten, obwohl .Hunderttausende im Bonner Hofgarten und anderswo dagegen demonstrierten.‘ Mittlerweile herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass diese Standhaftigkeit ein entscheidender Grund war für den Zusammenbruch des Sowjet-Imperiums und den Fall der Mauer.
Bei den umstrittenen Freihandelsabkommen spielt eine Block-Konfrontation glücklicherweise keine Rolle mehr. Im Hinblick auf TTIP lässt sich auch noch gar nicht sagen, ob die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Ende geführt werden können und das Ergebnis dann auch im Interesse Deutschlands ist. Doch für viele Kritiker geht es darum gar nicht mehr. Sie lehnen schon jetzt jedes Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten und Kanada grundsätzlich ab. Eine diffuse Angst vor der Globalisierung, tiefsitzendes Misstrauen gegenüber den Vereinigten Staaten und eine wirtschaftsfeindliche Grundhaltung gehen dabei oft eine unheilvolle Mischung ein.
In Diskussionen zeigt sich immer wieder, dass die Argumente der Gegner oft schnell zu widerlegen sind. Typisch dafür war das „Chlorhühnchen“, das am Anfang der Debatte um TTIP eine wichtige Rolle spielte. Als schließlich selbst die schärfsten TTIP-Kritiker zur Kenntnis nehmen mussten, dass die in den Vereinigten Staaten übliche Desinfizierung von Hühnchen mit Chlor gesundheitlich völlig unbedenklich ist und man bei einem Besuch im Hallenbad mehr Chlor aufnimmt als beim Verzehr eines in Amerika verarbeiteten Hühnchens, konzentrierten sich die Angriffe sogleich auf andere und zumeist ebenso leicht zu widerlegende Punkte.
Die wirtschaftlichen und politischen Chancen der Abkommen überwiegen nach meiner festen Überzeugung bei weitem die möglichen Risiken. Der Verzicht auf Zölle und die Schaffung einheitlicher Standards wird auf beiden Seiten des Atlantiks für Wachstumsimpulse sorgen, von denen die exportstarke deutsche Wirtschaft besonders profitieren dürfte. Aber auch politisch wäre es ein wichtiges Signal, wenn Europa und die Vereinigten Staaten die Verhandlungen zu einem Erfolg führten. Die demokratische Wertegemeinschaft des Westens hätte auch auf wirtschaftlichem Gebiet ihre Handlungsfähigkeit bewiesen und könnte in anderen Regionen der Welt die Standards beeinflussen.
Scheitern Ceta und TTIP, droht hingegen die Gefahr, dass autoritär regierte Staaten die Regeln im internationalen Handel prägen. Bis heute haben die.Kritiker der Handelsabkommen keine überzeugende Antwort auf die Frage gefunden, welche Rolle Europa bei der Globalisierung spielen soll.
Bedauerlicherweise verfolgt der Bundeswirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel auch bei diesem Thema einen Schlingerkurs. In der Hoffnung, seiner verzagten Partei wenigstens ein Ja zu Ceta abzuringen, hat er die TTIP-Verhandlungen als für „de facto gescheitert“ erklärt. Das ist absurd, denn die abschließenden Gespräche haben noch gar nicht begonnen. Natürlich gibt es zwischen der amerikanischen und europäischen Seite noch große Differenzen. Doch wie bei anderen Verhandlungen wird man auch bei TTIP die heikelsten Punkte erst am Ende klären können. Dass Fortschritte möglich sind, hat Ceta gerade erst bewiesen. Das geplante Handelsgericht, das auf Druck der Europäer gegenüber Kanada durchgesetzt wurde, wird vermutlich transparentere und rechtsstaatlich besser legitimierte Entscheidungen treffen als die bisher üblichen privaten Schiedsstellen.
Neben dem praktischen Nutzen wären die Handelsabkommen ein kraftvolles Signal, dass die westliche Wertegemeinschaft auch in der Zukunft nicht auf Abschottung und Protektionismus, sondern auf Freiheit und fairen Wettbewerb setzt.
Der Autor ist Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.