CDU

„Mein Gott, wir sind hier doch kein Armenhaus!“

Foto: Laurence Chaperon Foto: Laurence Chaperon
17. 01.17
Foto: Laurence Chaperon Foto: Laurence Chaperon

Schluss mit dieser Miesmacherei

Michael Grosse-Brömer hält die Diskussion über „Armutsgefährdung“ für unpräzise.

„Was ist dran an der gebetsmühlenartig wiederholten Klage, dass Deutschland immer ungleicher werde?“, fragt Michael Grosse-Brömer, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion in seinem Gastbeitrag für DIE WELT. Wer angesichts von steigenden Löhnen und Renten, sinkenden Arbeitslosenzahlen, wachsendem Wohlstand und einer starken sozialen Absicherung permanent behaupte, dass Deutschland immer ungleicher und ungerechter werde, betreibe unverantwortliche Stimmungsmache. Lesen Sie hier den vollständigen Kommentar:

„Die Armen werden immer ärmer und die Reichen immer reicher.“ Aussagen dieser Art sind häufig zu hören, wenn in Deutschland über soziale Gerechtigkeit und die Verteilung des Wohlstands diskutiert wird. Geäußert werden sie oft von Personen, die aus politischem Interesse heraus die wirklichen oder vermeintlichen Ungerechtigkeiten der deutschen Gesellschaft in den krassesten Farben malen. Verbandsvertreter zählen ebenso dazu wie die Protagonisten rot-rot-grüner Bündnisse. Doch was ist dran an der gebetsmühlenartig wiederholten Klage, dass Deutschland immer ungleicher werde? Der neue Armuts- und Reichtumsbericht, den die Bundesregierung im Frühjahr offiziell vorstellen will, gibt auf diese Frage wichtige Antworten. Danach sind die Einkommen in Deutschland seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts weitgehend stabil verteilt.

Erwerbstätigkeit hoch, Arbeitslosenzahl gering

Sowohl bei den Löhnen und Gehältern als auch bei den Renten gab es zuletzt deutliche Steigerungen, die allen Einkommensklassen zugutekamen. Auch der Arbeitsmarkt präsentiert sich in hervorragender Verfassung. Noch nie seit der Wiedervereinigung war die Zahl der Erwerbstätigen so hoch und Zahl der Arbeitslosen so gering wie gegenwärtig. Stark zugenommen hat zuletzt zwar die Zahl der Asylbewerber, die staatliche Sozialleistungen beziehen. Doch diese Tatsache lässt sich nun keineswegs als Beleg dafür anführen, dass die deutsche Gesellschaft ungerechter geworden sei. Natürlich gibt es auch in Deutschland noch immer soziale Probleme. Doch es gehört ein gehöriges Maß an Realitätsverweigerung dazu, die positiven Entwicklungen der vergangenen Jahre kleinzureden oder zu ignorieren.

Wohlstand erst erwirtschaften, dann verteilen

Wer über soziale Ungleichheit diskutiert, muss sich klarmachen, dass der Wohlstand, der verteilt wird, zunächst einmal erwirtschaftet werden muss. Nichts ist gewonnen, wenn es in einer Gesellschaft viel materielle Gleichheit gibt, das generelle Niveau des Wohlstands aber sinkt. Grundlage für soziale Gerechtigkeit bleibt stets eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik. Zudem sind gewisse materielle Anreize unverzichtbar, um Menschen dazu zu motivieren, das Beste aus ihren Möglichkeiten zu machen. Das Ziel des Staates muss es sein, seinen Bürgern die optimalen Möglichkeiten für ihre persönliche Entwicklung und Selbstbestimmung zu eröffnen. Erreicht werden kann es nicht durch möglichst viel Verteilungsgerechtigkeit, sondern nur durch Chancengerechtigkeit.

Durchlässigkeit des Bildungssystems weiter verbessern

Soweit dies in der Macht des Staates steht, muss das Kind eines Professors dieselben Zukunftschancen haben wie das eines Facharbeiters oder eines Langzeitarbeitslosen. Geld ist dabei nicht alles, aber die beträchtliche Steigerung der öffentlichen Ausgaben für Bildung von knapp 87 Milliarden Euro 2005 auf knapp 130 Milliarden Euro im Jahr 2016 ist richtig und wichtig. Zugleich muss weiter daran gearbeitet werden, die Durchlässigkeit des Bildungssystems zu verbessern. Selbstverständlich gibt es auch die Verpflichtung, all denjenigen, die ihre Chancen nicht wahrnehmen können, einen menschenwürdigen Lebensstandard zu gewährleisten.

Keine dauerhafte Alimentierung

Doch das Ziel des Sozialstaats darf nicht die dauerhafte Alimentierung von Menschen sein. Ludwigs Erhards Warnung von 1957, dass der umfassende Versorgungsstaat nicht den freien und verantwortungsbewussten Bürger, sondern den „sozialen Untertan“ hervorbringt, hat nichts von ihrer Aktualität verloren. „Am Anfang muss die eigene Verantwortung stehen, und erst dort, wo diese nicht ausreicht oder versagen muss, setzt die Verpflichtung des Staates und der Gemeinschaft ein“, heißt es in seinem vor 60 Jahren veröffentlichten Buch „Wohlstand für Alle“. „Damit Menschen ein gelingendes Leben führen können, müssen sie ihre Fähigkeiten entfalten können“, schreibt auch der langjährige Generalsekretär der Caritas, Georg Cremer, in seinem vor Kurzem erschienenen Buch „Armut in Deutschland“. Das Problem des deutschen Sozialstaats sei nicht, „dass er zu wenig Hilfe böte, sondern dass er viele Potenziale, Notlagen zu vermeiden, ungenutzt lässt“. Er schlägt unter anderem vor, die zersplitterten Zuständigkeiten bei der Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsene stärker als bisher zu bündeln.

Begriff „Armutsgefährdung“ unpräzise

Kritisch bewertet Cremer das von der EU-Kommission festgelegte Kriterium der „Armutsgefährdung“, das hierzulande die sozialpolitische Debatte prägt. Danach gilt jeder, der weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat, als „armutsgefährdet“. Selbst wenn alle Menschen in Deutschland auf einen Schlag 1000 Euro mehr im Monat erhielten, würde sich nach dieser Statistik an der vermeintlichen „Armutsgefährdung“ kaum etwas ändern. Doch das hindert viele Vertreter des linken politischen Spektrums nicht daran, regelmäßig mit diesem Begriff zu operieren und ihn kurzerhand mit „Armut“ gleichzusetzen. Geringqualifizierte, Alleinerziehende und Menschen mit Migrationshintergrund stellen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die Gruppen dar, die in Deutschland am stärksten von materieller Not bedroht sind.

Keine Stimmungsmache betreiben

„Eine befähigende Bildungs- und Sozialpolitik“, die auf Bildung und ein intelligentes Anreizsystem setzt, ist nach Überzeugung von Caritas-Generalsekretär Cremer der beste Weg, um auch diesen Gruppen berufliche Perspektiven und materiellen Erfolg zu ermöglichen. Voraussetzung ist aber auch hier eine gute Lage der Wirtschaft. Denn der Staat kann zwar die berufliche Qualifizierung dieser Bevölkerungsgruppen fördern, die nötigen Jobs aber nur in sehr geringem Umfang bereitstellen. Deutschland ist nicht das Paradies auf Erden, und die Politik steht immer wieder neu vor der Aufgabe, zwischen Leistungsgerechtigkeit und sozialem Ausgleich das rechte Maß zu finden. Wer aber angesichts von steigenden Löhnen und Renten, sinkenden Arbeitslosenzahlen, wachsendem Wohlstand und einer starken sozialen Absicherung permanent behauptet, dass Deutschland immer ungleicher und ungerechter werde, betreibt unverantwortliche Stimmungsmache – und das oft aus purem politischem Eigennutz.

Gastbeitrag von Michael Grosse-Brömer für DIE WELT. Original abrufbar unter diesem LINK.